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Programmlawine cablecom
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Die britische NTL kauft Cablecom. Damit kommt ein neuer Mediengigant in die Schweiz. Er droht zur Konkurrenz für die SRG zu werden.

Mr. und Mrs. Jones in England konsumieren alles aus der gleichen Dose. Sie sehen Fernsehfilme, hören Radio und surfen im Internet; sie telefonieren mit Freunden und erledigen ihren Bankverkehr – über ein einziges Kabel. Den Anschluss haben sie von NTL.

Der britische Kabelnetzbetreiber NTL versorgt in England und Irland 1,7 Millionen Haushalte mit diesem Vollpaket. «Kommunikation total» lautet die Devise. Von Fernsehen über Internet bis zum Telefon wird alles ins Haus geliefert. Via ein Kabel, eine Dose und viele Stecker.

Seit Anfang dieser Woche gilt für die Schweizer: «Keep up with the Joneses», Mithalten mit Englands Herrn und Frau Jedermann. NTL übernimmt Cablecom, die grösste Kabelnetzbetreiberin der Schweiz, und verspricht eine Kommunikations-Offensive, wie sie der geruhsame Markt hier noch nicht gekannt hat.

«Als Erstes kommt das digitale Fernsehen», sagt Jeff Wyman; der Unterhändler hat den Deal für NTL perfekt gemacht. Statt 50 TV-Programme empfangen Schweizer Haushalte bald schon 500, viele davon als Bezahlfernsehen.

Doch damit allein rechnet sich der enorme Kaufpreis von 5,8 Milliarden Franken für NTL nicht. In einem zweiten Schritt folgt der Ausbau der interaktiven Dienste – von Cablecom über Swiss Online schon heute teilweise angeboten. Als Drittes ist denkbar, dass die Cablecom eigene, exklusive TV-Programme verbreitet – wie das NTL in England versucht.

Pay-TV soll zum grossen Geschäft werden. Sei es, indem NTL eingekaufte Spartenpakete, von Spielfilmen über Musik- und Sportsendungen bis zur Erotik, durch seine Kabel schickt. Oder indem einzelne Programme exklusiv übertragen werden.

«Wir verstehen uns als komplettes Kommunikations-Unternehmen», definierte NTL-Boss Barclay Knapp seine Firma letzten Sommer an einer Fachtagung. «Wir sind ein Einzelladen, der alle Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungs-Bedürfnisse befriedigt.»

Zwar betrieb NTL bisher Kabelnetze, aber viel Programm bot er nicht: Noch gibts kein NTL-TV. Doch mehrfach verbreitete das Unternehmen einzelne Angebote exklusiv über seine Kabel – und liess die Zuschauer dafür bezahlen. So löste NTL in England eine medienpolitische Debatte aus, als er mit einigen anderen Kabelbetreibern das Exklusivrecht aufs offizielle Gedenkkonzert für Prinzessin Diana kaufte; die klassischen Sender BBC, ITV und Channel 4 gingen leer aus. In der Folge durften sich NTL-Kunden den Auftritt von Cliff Richard, Chris de Burgh und Kollegen gönnen – während neun Zehntel der britischen Fernsehzuschauer, da nicht bei NTL oder satellitenabhängig, in die Röhre guckten.

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Noch spektakulärer sind die Bestrebungen, im Sportfernsehen Fuss zu fassen. Die Kabler besitzen bereits eine Beteiligung an Eurosport, in Grossbritannien wird der Sportkanal exklusiv von NTL verbreitet. Ähnliche Engagements werden ausgebaut. Wie Medienmagnat Rupert Murdoch, der für seinen Satellitensender BSkyB um Einfluss bei Manchester United kämpft, strebte NTL im Frühling die Übernahme des Fussballklubs Newcastle United an – und scheiterte.

Aber: «Wir bleiben gewillt, unser Sportprogramm auszubauen. Jede neue Gelegenheit wird überprüft», sagte Knapp.

Das war im April. Dem letzten englischen Fussballfan wurde NTL letzten September zum Begriff, als bekannt wurde, dass Knapp die Übertragungsrechte an der Premier League kaufen will. Unterstützt von Bill Gates, dem Microsoft-Milliardär und Minderheitenaktionär bei NTL, bot Knapp 2,5 Milliarden Franken, um die rentabelste Liga der Welt ab 2001 zu kontrollieren; der Entscheid ist hängig.

In der Schweiz hat NTL zwar derzeit keine Pläne, eigenständige Programme anzubieten oder die Cablecom gar zur Konkurrenz für die SRG aufzurüsten. Doch längerfristig will NTL-Manager Jeff Wyman dies nicht ausschliessen: «Wir halten uns alle Optionen offen.»

Bei der SRG sieht man der möglichen neuen Konkurrenz gelassen entgegen: «Wir wehren uns nicht gegen neue Anbieter», sagt SRG-Stabschef Rainer Keller. Er hält aber fest, dass eine Behinderung der Service-public-Programme unzulässig sei. «Laut Gesetz darf ein Kabelnetzbetreiber seine Position nicht missbräuchlich ausnützen.» Will sagen: Selbst wenn die Cablecom einst eigene Sportprogramme übertragen würde, müsste sie andere Sportkanäle ebenfalls aufschalten.

Doch das Radio- und Fernsehgesetz weist Lücken auf. Auf welchen Sendeplätzen die Kabler ihre Programme zu etablieren haben, steht nirgends. Medienminister Moritz Leuenberger will diese Lücke bei der Gesetzesrevision schliessen und die begehrten ersten Plätze für die öffentlich-rechtlichen Programme reservieren.

Das Verhältnis zwischen dem neuen Marktplayer NTL und den Schweizer Behörden bedarf der Klärung. Beim Bundesrat liegt eine Beschwerde des Schweizer Teleclubs gegen die Cablecom, die sich weigerte, dessen digitale Pay-TV-Pakete zu verbreiten.

Hinter dem lokalen Streit versteckt sich ein Kampf der globalen Mediengiganten. Durch NTL wird Cablecom künftig indirekt mit France Telecom verbunden, die 12 Prozent von NTL besitzt – sowie mit Bill Gates’ Microsoft, die 5 Prozent hält. Auf der anderen Seite hat Teleclub – abgesehen von Ringier – die Medienriesen Kirch und Murdoch im Rücken. Beide hatten ebenfalls vor, Cablecom zu kaufen.

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