Microsoft: Pfeifen im dunklen Wald

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Mit dem neuen Betriebssystem XP stösst Microsoft auf einen schwierigen Markt.

Die letzte Woche war eine regelrechte Qual. Zuerst ein Trip auf die feuchten Philippinen, dann ab ins vernebelte Shanghai, wo Bill Gates die schamlose Umtriebigkeit der chinesischen Wirtschaft zu sehen bekam. Die neue Software Windows XP, die der Microsoft-Chef diese Woche in den USA lanciert, gibts auf Chinas Strassen längst als illegale Raubkopie, das Stück zum Discountpreis von 4.50 Franken.

Da nützte es auch nichts, dass Shanghais Bürgermeister Xu Kuangdi dem Gast aus Übersee treuherzig versprach, zum Dank für Microsofts Investitionen in der Stadt würden seine Beamten künftig keine ille-galen Microsoft-Billigkopien mehr gebrau-chen. Gates, mittlerweile mit leicht angegrauten Schläfen, lächelte artig.
Der epidemische Fake in Fernost nervt, und in der US-Heimat drückt der 11. September aufs Gemüt. Da brauchte es schon die Stimme Rudy Giulianis, des Übervaters von New York, der Gates persönlich bat, die Lancierung von Windows XP im «Marriott Marquis» am Time Square nicht zu verschieben.

Nach ein paar Retouchen am Konzept – der Werbeslogan «Prepare to fly» wurde auf «Yes, you can» umgedichtet – hielt Gates Wort. Immerhin kann er sich nun in der Pose des unerschrockenen Antizyklikers präsentieren, der sich weder von Rezessionsängsten noch von ruchlosen Fanatikern unterkriegen lässt. Konkurrenten wie AOL Time Warner, die den Start von Windows XP zum illegalen Akt erheben wollten, hat er bereits im Vorfeld im Gerichtssaal ausgehebelt.
Andere aus der Hightech-Branche, allen voran die Computer- und Mikroprozessor-Hersteller, wissen den Sondereffort Gates zu schätzen. Die US-Konjunktur braucht dringend ein paar Lichtblicke, die Konsumenten aufmunternde Schlagzeilen.

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Zwei Welten: Während Corporate America Budgets durchforstet und Kahlschlag betreibt, lässt der Software-Bauer aus Red-mond die Dollars tanzen. Die weltweite Windows-XP-Einführung soll 350 Millionen Franken verschlingen. Bei Windows 95 setzte Gates auf den Song «Start me up» der Rolling Stones, nun, in der kollektiven Sinnkrise, ist Psychedelisches von Madonna gefragt. Die Usurpierung ihres «Ray of Light» bringt ihr 40 Millionen Franken ein.
Allein: Sphärenklänge und der Vorwärtsdrang von Gates und seinem Alter Ego Steve Ballmer werden XP nicht zum Extraprofit machen. Die Marktforscher von IDG rechnen damit, dass es dem Konzern in den ersten zwölf Monaten eine Umsatztsteigerung von fünf Prozent bescheren wird. Immerhin gilt das System als innovativer Wurf, der mehr Farbe und Effizienz in die Welt der Anwender bringt. Selbst Kritiker räumen ein, XP sei seit 15 Jahren das erste Betriebssystem, in dem der Absturz nicht zum Standardprogramm gehöre.

Dennoch sprechen die Zahlen nicht für Gates. Der PC ist zwar nicht am Ende, wie ein paar Apologeten prognostiziert haben, doch der Markt ist gesättigt. Die IDG-Forscher schätzen den diesjährigen Rückgang im US-Computer-Markt auf sechs Prozent. Auch die Jugend verspricht keinen Lichtblick. Das Schuljahr hat begonnen, die Computer sind aufgerüstet. Wenig hilfreich ist zudem, dass sich neue Software zunehmend übers Internet runterladen lässt, was die Bedeutung der Betriebssysteme schmälert. «XP kann den schwachen Markt nicht kehren», prophezeit Charles Smulders, Chefanalyst bei Gartner Research.

Wenn das Betriebssystem nicht den Lichtblick bietet, dann ists vielleicht die Videogame-Konsole Xbox, die Gates in vier Wochen in die Läden schiebt. Auch hier lässt er nichts unversucht: Vier Milliarden Franken will er in den flimmerden Kindertraum investieren, der frühestens
ab 2006 Gewinne einfahren soll. Das Ziel ist ambitiös: Mit Xbox möchte Gates den Musik- und Videomarkt aufrollen und das Duopol von Sony und Nintendo brechen. Zumindest hier kommt ihm das Desaster vom 11. September entgegen. Statt auszugehen, vergnügen sich die Leute zu Hause am eigenen Gerät.

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