Die Ewigmorgigen

Euro-Turbos
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Junge Euro-Turbos lassen nicht locker. Auch nach der Abstimmung über die bilateralen Verträge wollen sie nur eines: schnell nach Europa die Albatros-navigation.ch

Als die Schweiz am 6. Dezember 1992 den EWR ablehnte, war die Zürcherin Cornelia Lüthy 24 Jahre alt. Sie studierte Europa-Recht und war «schockiert» über das Resultat vom «schwarzen Sonntag». Wenn die Schweiz am 21. Mai über die bilateralen Verträge abstimmt, ist Lüthy 32 Jahre alt und promovierte Europa-Rechtlerin. Diesmal ist sie sicher, dass die Schweiz Ja sagt. Wichtig aber ist ihr etwas anderes: dass der 21. Mai endlich über die Bühne geht. «Bis dahin standen wir de facto unter Redeverbot.»

Wir – das sind die proeuropäischen Kräfte im Land, die sich den EU-Beitritt auf die Fahne geschrieben haben. Unter so eigenartigen Namen wie Geboren am 7. Dezember 1992, Geboren 1848 oder Aktion Europa Dialog haben sie sich zusammengeschlossen um dem Bundesrat in der Integrationsdebatte Dampf zu machen. Sie werden dafür sorgen, dass die Schweiz nach dem 21. Mai nicht in einen europapolitischen Schlaf versinkt – mit der Initiative «Ja zu Europa». Sie verlangt, dass der Bund mit der EU «ohne Verzug» Beitrittsverhandlungen aufnimmt.

Mit «Redeverbot» ist die Strategie des Bundesrats angesprochen. Er betont bis heute, ein Ja zum Vertragswerk sei kein Schritt in die EU. Auf diese Weise, kritisieren die Initianten, habe man eine Diskussion um den EU-Beitritt schlicht unterbunden.

«Das geht jetzt nicht mehr», sagt der 28-jährige Lukas Gresch. Der Generalsekretär der proeuropäischen Dachorganisation Neue Europäische Bewegung Schweiz Nebs sehnt «den Tag danach» ebenfalls herbei. «Ein klares Ja», sagt er, «löst die Blockierung in den Köpfen und schafft Platz für eine Volksdiskussion über den EU-Beitritt.» Das Vertragswerk ist für ihn und die 7000 Nebs-Mitstreiter lediglich eine «passage obligé» – ein Nadelöhr, «durch das wir hindurch müssen». Jetzt beginne die Phase der «postbilateralen» Politik. In der ersten Juni-Woche kommt die Initiative «Ja zu Europa» vors Parlament.

Das Startzeichen zur Integration haben die «Euro-Turbos» – wie Euro-Skeptiker die Initianten nennen – längst gegeben. Vor vier Jahren, am 30. Juli 1996, wurde das Volksbegehren bei der Bundeskanzlei deponiert. Dort lag und lagerte es. Es war dem Bundesrat stets ein Dorn im Auge und blieb ein Störfaktor im Bundeshaus.

Der bundesrat schob das Begehren vor sich hin. Mit seiner Stellungnahme hat er bis zum letztmöglichen Zeitpunkt der gesetzlichen Frist zugewartet. Aus Angst, eine EU-Diskussion könnte den bilateralen Verhandlungen in die Quere kommen, wurden sogar zwei Sitzungstermine verschoben. Die Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat hätten eigentlich schon vor dem 21. Mai Stellung nehmen müssen. Jetzt tagen sie erst danach. Am 23. Mai und am 26. Mai – kurz vor Sessionsbeginn.

Während die Euro-Turbos ihr klares Ziel (den schnellen EU-Beitritt) deklarieren, werden die Absichtserklärungen des Bundesrats (der punkto EU kein Ziel, sondern ein «strategisches Ziel» hat) immer missverständlicher und absurder. Vizekanzler Achille Casanova informierte am 30 März: «Der Bundesrat werde den Entscheid vom 21. Mai weder als eine Aufforderung noch als Schlusspunkt in der Integrationspolitik bewerten.» «Ein normaler Mensch», sagt Gresch, «kann das nicht verstehen.» Für ihn ist sonnenklar: Ein klares Ja am Sonntag ist ein Ja zu Europa und somit zur Union. Was ihm nicht klar ist: «Wie ich Vertrauen in eine Regierung haben kann, die ein strategisches Ziel festlegt und nachher alles tut, um es nicht zu erreichen.»

Den Sowohl-als-auch- beziehungsweise den Weder-noch-Weg hat der Bundesrat auch bei der Initiative «Ja zu Europa» gewählt. Er lehnt sie nicht ab – sonst würden Zweifel an seinem Beitrittswillen aufkommen. Er stimmt ihr aber auch nicht zu – sonst würde er innenpolitisch ein negatives Europa-Signal geben. Stattdessen sagt er «nein, aber». In Form eines Gegenvorschlags, den er im Januar 1999 auf den Tisch legte und über den das Volk nicht abstimmen kann. Weil dieser Gegenvorschlag nicht referendumsfähig ist. Seither hofft der Bundesrat, die Initiative würde zu Gunsten des Gegenvorschlags zurückgezogen.
Euro-Turbos

Beim Wort «Rückzug» kommen die «Euro-Turbos» erst recht in Fahrt. Sie wissen, dass sie mit der Initiative ein Druckmittel in der Hand haben. Es zwingt die Parlamentarier, nach dem 21. Mai Farbe zu bekennen. Das gefällt sogar etablierten Politikern. «Durch alle Böden hindurch» werde er das Begehren verteidigen, insistiert Grünen-Präsident und Nationalrat Ruedi Baumann. «Der EU-Beitritt wird nur diskutiert, wenn eine Volksinitiative auf dem Tisch liegt», sagt der überzeugte EU-Befürworter. Auch FDP-Nationalrat Marc Suter, Präsident von Nebs, will von einem Rückzug nichts wissen. «Sonst rückt der EU-Beitritt wieder in weite Ferne.»

Nebs-Mann Beat Brodbeck kritisiert den Gegenvorschlag, der keine Fristen enthält, als «schwammig». Da stehe nichts Konkretes drin, ausser dass man irgendwann mal der EU beitreten könnte.

Irgendwie – irgendwann. Das ist nicht der Fahrplan der Euro-Turbos. Ein Ziel, meinen sie, könne man nur erreichen, wenn man es nach aussen klar kommuniziere. Deshalb haben sie die Schweizer Integrationspolitik vorsorglich schon mal hochgerechnet und sind zum Schluss gekommen: Sogar mit der Annahme von «Ja zu Europa» würden, vom Jahr 2000 aus gerechnet, sechs Jahre verstreichen, bis die Schweiz Mitglied der EU würde. «Von einem Sturm in die EU», sagt Cornelia Lüthy, «kann also nicht die Rede sein.» Der viel zitierte innenpolitisch notwendige «Klärungs- und Reflexionsprozess» sei bestens gewährleistet. «Subito», betonen die Initianten, beziehe sich nicht auf den EU-Beitritt selbst, sondern den Beginn der Verhandlungen. Wie viele EU-Befürworter hegt auch die Nebs den Verdacht, dass der Bundesrat im Grunde ganz froh wäre, «Ja zu Europa» würde angenommen – dann wäre er nicht zu einem zügigen Verhandeln aufgefordert, sondern dazu gezwungen.

Was bleibt, ist das deutliche Indiz, dass der Bundesrat in die Union will. In Brüssel liegt immer noch das Schweizer Beitrittsgesuch, das vor der EWR-Abstimmung deponiert wurde. Zurückgenommen hat der Bundesrat dieses Gesuch bis heute nicht. Er hat es «eingefroren» und will es bei Gelegenheit wieder «auftauen».

Das Kühlschrank-Vokabular nervt die Jungen, weil es ulkig tönt, aber nichts heisst. Obschon sie ahnen, dass ihre Initiative – wenn sie zur Abstimmung kommt – allein schon am Ständemehr scheitern wird, wollen sie mit dem Kopf durch die integrationspolitische Mauer. Die Warnung, dass ein negatives Abstimmungsergebnis ein Eigentor wäre, bringt sie nicht von ihrem Weg ab. Denn sie wissen: Gerade die Tatsache, dass sie keine Taktiker sind, sorgt in Bern für Aufregung. «Wir sind keine Politiker, aber wir stehen für unsere Überzeugung ein», sagt Andrea Gnägi.

Vor fünf Jahren hat die 30-jährige Zürcherin selber für «Ja zu Europa» Unterschriften gesammelt und mit den Leuten dabei über die Chancen einer offenen Schweiz diskutiert. «Viele haben damals geglaubt, die Initiative sei ein Schnellschuss, eine Aktion, von der in ein paar Jahren niemand mehr spricht.»

Eine Fehlprognose. Die Euro-Turbos haben sich mit ihrem Durchhaltewillen Respekt verschafft – selbst bei jenen Parteien, denen das Tempo früher zu schnell war. Die bürgerlichen Parteien etwa staunten, dass der Bundesrat die Initiative nicht – wie die Anti-EU-Initiative der Lega – ohne Gegenvorschlag abkanzelte. Die SP ist sogar voll auf die Linie der Turbos eingeschwenkt.

Geschickt vereinten die Europa-Fans zudem ihre Kräfte. 1998 haben sämtliche kleine Grüppchen wie Europäische Bewegung Schweiz, Geboren am 7. Dezember 1992, die Jungen Europäischen Föderalistinnen und Föderalisten und die Aktion Europa Dialog fusioniert. Im März dieses Jahres kam schliesslich noch Geboren 1848 dazu.

Dass die Schweiz in der Union viel beitragen könnte, das wollen sie dem Schweizervolk beibringen. Die Überzeugunsarbeit wird auf der Strasse geleistet. Anfang Mai organisierte Nebs mit Gleichgesinnten- darunter SP-Nationalrat Mario Fehr – eine Europa-Promo-Tour in Zürich. Mit einem London-Bus kurvten die Euro-Turbos durch die Stadt, plädierten für die Bilateralen und den EU-Beitritt. Kaum aber hatten sie auf dem Helvetia-Platz das Mikrofon installiert, eilten militante EU-Gegner herbei, würgten der ersten Rednerin das Wort ab und schrien: «Usländer uuse!» Bei Nebs heissen diese Leute «die Ewiggestrigen». Dass für die Euro-Turbos eine ähnliche Wortschöpfung existiert, wissen sie seit dem 6. Mai. NZZ-Redaktor Max Frenkel bezeichnete die Initiative als ein «Geschenk» der «Ewigmorgigen».

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