Eine neue Stufe der Kriminalität

Kriminalität
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Letztes Jahr wurde die Internet-Polizei des Bundes abgeschafft. Adrian Lobsiger, Experte für Computer-Kriminalität beim Bund, will sie wieder einführen.

–: Herr Lobsiger, wurden auch Sie vom ILOVEYOU-Virus heimgesucht?
Adrian Lobsiger: Auch ich bekam das ominöse Mail.

–: Wie haben Sie reagiert?
Lobsiger: Ich habe sofort gedacht, dass etwas nicht stimmen kann. Zum Glück hat das Rechenzentrum des Eidgenössichen Justiz- und Polizeidepartementes schnell reagiert und alle Mails blockiert. Deshalb kam es bei uns zu keinem Absturz.

–: ILOVEYOU ist eines von mehreren tausend so genannten Makro-Viren, die ganze Computer-Systeme lahm legen können. Was unternimmt die oberste Strafverfolgungsbehörde der Schweiz gegen diese Form von Kriminalität?
Lobsiger: Als Strafverfolgungsbehörde regeln wir nicht den Verkehr im Internet. Wir werden dann aktiv, wenn ein strafrechtlich relevanter Gesetzesverstoss begangen worden ist. Vor allfälligen Gefahren müssen sich die Benützer schon selber schützen.

–: Das tönt nach Abwarten.
Lobsiger: Es ist keinesfalls so, dass wir die Hände in den Schoss legen. Wir verfolgen vielmehr die Entwicklung im Bereich der Computer-Kriminalität sehr genau.

–: Und die ist beunruhigend?
Lobsiger: Die Rechnung ist einfach. Je mehr User das Internet benützen, umso grösser ist der Missbrauch. Die Notwendigkeit der Strafverfolgungsbehörde, sich in diesem Bereich zu engagieren, ist deshalb unbestritten.

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–: Wie das? Erst letztes Jahr hat das Bundesamt für Polizei den Pilotversuch Internet-Polizei abgebrochen.
Lobsiger: Unsere Experten wurden mit empörten Hinweisen aus der Bevölkerung auf pornografische Darstellungen im Internet bombardiert und konnten ihrer eigentlichen Beschäftigung nicht mehr nachgehen – der Verfolgung strafrechtlicher Missbräuche im Netz. Heute arbeiten unsere Leute mehr im Hintergrund.

–: Die Ermittlungen in Fällen von Computer-Kriminalität in der Schweiz führen nach wie vor die Kantone durch. Die Beamten sind von der komplexen Materie oft überfordert. Eine Einladung an alle Hacker?
Lobsiger: Ich glauben nicht, dass die Untersuchungsbehörden der Kantone überhaupt keine Ahnung haben. Vielleicht stehen sie am Anfang des Falles vor einer elektronischen Mauer. Doch es ist auch im Internet nur eine Frage der Zeit, bis die elektronischen Spuren zu realen Menschen führen. Dann kommt wieder das klassische Untersuchungshandwerk zum Zug.

–: Ein Prozess vom März vor dem Bezirksgericht Zürich wegen Verbreitung von Viren führte zum Freispruch, weil der Urheber nicht ausfindig gemacht werden konnte. Hacker können sehr wohl ihre Spuren so weit verwischen, dass sie mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden nicht mehr aufgespürt werden können.
Lobsiger: Was tatsächlich fehlt, ist eine Kompetenzzentrale, die den kantonalen Ermittlern in komplizierten technischen Fragen zur Seite steht. Doch das ist vorläufig Wunschdenken.

–: Wann wird es wieder beim Bundesamt für Polizei eine Abteilung Cyber-Cops geben?
Lobsiger: Ob es wieder eine eigenständige Einheit für eine Internet-Polizei geben wird, wissen wir noch nicht. Das kommt vor allem auf die Bedürfnisse der einzelnen Kantone an. Deshalb wurde die Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Missbräuchen elektronischer Kommunikationsmittel – kurz Bemik – gegründet. Sie wird nächsten Monat zum ersten Mal tagen und das weitere Vorgehen zwischen den Kantonen und dem Bund im Bereich der Computer-Kriminalität koordinieren.

–: Das Internet kennt weder Kantons- noch Landesgrenzen. Würde es nicht Sinn machen, wenn in grossen Fällen von Schweizer Computer-Kriminalität der Bund das Heft in die Hand nähme?
Lobsiger: Es wäre nicht gut, wenn wir die einzige Schweizer Strafverfolgungsbehörde wären, die über Computer-Kriminalität Bescheid wüsste. Wir müssten vielmehr komplexe Vorgänge im Internet in eine Sprache übersetzen, die jeder Polizist und Richter versteht. Doch welche Kompetenzen eine Cyber-Cop-Abteilung des Bundes erhalten würde, ist nicht zuletzt eine Frage der personellen und finanziellen Ressourcen.

–: Heute wird viel Geld in eine Schweizer DNA-Datenbank investiert, um genetische Fingerabdrücke zu speichern. Für Hacker kein Problem, sind sie doch nie persönlich am Tatort und hinterlassen dort keine Spuren. Eine Fehlinvestition?
Lobsiger: Das eine darf das andere nicht ausschliessen. Doch es ist klar: Das Internet hat die Kriminalität auf eine neue Stufe katapultiert.

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